? Die vergangenen vier Jahre haben Sie in der Jugendarbeit in Miltenberg gearbeitet. Welches Fazit ziehen Sie nun rückblickend? Was können Sie aus dieser Zeit mitnehmen?
Ich nehme mit, dass Jugendarbeit sehr vielfältig ist. Im Jugendhaus St. Kilian haben wir viele unterschiedliche Gästegruppen beherbergt: Schulklassen, Kommunion- und Firmgruppen, aber auch Mitarbeiterseminare von Firmen. Auch als Regionaljugendseelsorger habe ich erlebt, wie vielfältig sich Kirche gestaltet und wie vielschichtig Jugendliche heute sind. Kirchliche Jugendarbeit ist ja ganz unterschiedlich aufgestellt, da gibt es Ministranten, verschiedene Verbände und freie Jugendgruppen. Dann gibt es aber auch Gemeinden, in denen sich kaum noch Jugendliche kirchlich engagieren. Das ist eine Herausforderung für die Pfarreien und uns.
? Sind Ihnen in Ihrer Tätigkeit schon Vorurteile begegnet gegenüber der Kirche als Anbieter von Angeboten für Kinder und Jugendliche?
Vorurteile ja, auch kritische Anfragen, manchmal aber auch Verwunderung und Neugierde, wenn ich den Menschen erzähle, was wir hier in der Region und im Haus machen und anbieten. Meine Erfahrung ist, dass die Vorurteile meist mit Unwissenheit zusammenhängen. Wichtig ist es, gut aufzuklären, was wir alles für Kinder und Jugendliche tun, denn das ist eine ganze Menge.
? Wie hat sich die kirchliche Jugendarbeit in den letzten Jahren entwickelt? Welche wichtigen Anstöße und Veränderungen gab es?
Die Schnittstelle zwischen Kirche und Schule hat sich in den letzten Jahren ganz intensiv entwickelt, zum Beispiel durch das Angebot von „Tagen der Orientierung", die Schulklassen in einem Jugendhaus verbringen. Jugendliche haben heute aber auch Möglichkeiten der Lebensgestaltung, wie es sie in der Vergangenheit nie gegeben hat. Sie lassen sich nicht festlegen auf eine Richtung und auch nicht an eine Gemeinde fest binden. Hier ist die kirchliche Jugendarbeit dran, neue Zugänge und Formen zu entwickeln.
? Ist die momentane Bandbreite an Angeboten Ihrer Meinung nach ausreichend und zeitgemäß?
Die pädagogischen und religiösen Angebote, die wir hier im Haus haben, sind meist an Gruppen gerichtet, weniger an Einzelpersonen. Die Regionalstelle bietet Praxisbegleitung vor Ort und eine Reihe von Schulungen an. Unser Bildungsreferat hält einen engen Kontakt zu den Landkreisschulen. Da werden auch immer wieder neue Angebote entwickelt. Ich glaube aber, insgesamt ist das Wichtigste, dass wir uns nicht zurückziehen, sondern offen sind, hinaus gehen und den Kontakt in den Gemeinden, den Schulen und zu den Jugendlichen suchen; der Kirche auch jenseits unserer geschützten, kirchlichen Räume ein Gesicht geben. So können wir unsere Angebote zum einen nach außen tragen und zum anderen signalisieren: „Wir sind für Euch da. Ihr seid hier willkommen." Das ist ein dialogischer Prozess.
? Was hindert Jugendliche möglicherweise heutzutage daran, kirchliche Angebote wahrzunehmen oder sich selbst aktiv zu engagieren?
Ein Grund ist wohl, dass es heute deutlich mehr Freizeitangebote als noch vor 30 Jahren gibt. Die klassische kirchliche Jugendarbeit spürt derzeit auch die starken schulischen Anforderungen an Kinder und Jugendliche. Aktivitäten wie wöchentliche Gruppenstunden sind stark rückläufig. Außerdem ist der Ruf der Kirche in der Öffentlichkeit nicht mehr der beste. Verschiedene Skandale in den letzten Jahren haben da leider auch Vorschub geleistet. Da scheuen sich viele Jugendliche, sich in der Schule oder im Freundeskreis zur Kirche zu bekennen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass sich junge Menschen nach wie vor für zeitlich begrenzte Aktionen begeistern lassen. Beispiele dafür sind die erfolgreiche 72-Stunden-Aktion des BDKJ oder die Weltjugendtage.
? Wie kann man diesen Schwierigkeiten begegnen?
Wir müssen bei den jungen Menschen Zeugnis ablegen für das, wofür wir stehen. Ich habe kein Patentrezept in der Tasche, aber ich habe das feste Vertrauen, dass Jesus Christus auch heute Jugendlichen etwas zu sagen und zu geben hat und dass ein Leben mit Gott eine Bereicherung ist. Diese Grundüberzeugung versuche ich durchstrahlen zu lassen, wenn ich mit Jugendlichen arbeite.
? Sind Social Media-Angebote und Jugendkirchen zukunftsweisende Lösungsansätze?
Sicherlich wird die Kirche in sozialen Netzwerken präsent sein müssen. Den persönlichen Kontakt und eine gelebte Beziehung kann ein soziales Medium aber nicht ersetzen. Jugendkirchen sind für mich ein Weg, Jugendliche zu erreichen und anzusprechen, die in ihrer Heimatpfarrei vielleicht keinen Anschluss mehr haben und die über eine andere liturgische Form einen neuen Zugang zu Jesus finden.
? Stellt die heutige Jugend andere Ansprüche an kirchliche Jugendarbeit als noch vor einigen Jahren?
Die Wünsche und Sehnsüchte nach einem gelingenden Leben oder wie man eine gute und aufrichtige Beziehung führen kann, erscheinen heute vielleicht in einem anderen Gewand, aber es sind dieselben wie früher. Jugendliche stellen im persönlichen Kontakt nach wie vor sehr tiefgehende Fragen, und das sind für uns die besten Anknüpfungspunkte, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
? Was wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit als Diözesanjugendpfarrer?
Ich wünsche mir viele kreative und mutige Mitarbeiter, die nicht sagen: „Wir machen alles einfach so weiter wie bisher", sondern die sagen: „Lasst uns etwas wagen und mutig Schritte nach vorne tun, im Vertrauen auf Gottes Geist." Wir wollen als Jugend ja Zugpferd in der Kirche sein und nicht Hemmschuh.
Interview: Vanessa Kunkel
V.i.S.d.P.: Würzburger Katholisches Sonntagsblatt